Die Erzählung von Virginia Macerelli

«Im November kamen die Deutschen.

Sie sagten, dass wir weggehen sollten, weil das Dorf zerstört werden müsste.

Sie nahmen sich alle Männer für den Krieg, auch meinen Vater und meine anderen zwei größeren Brüder.

Nachdem wurden die Leute aus Pietransieri vertrieben, weil sie das Dorf bombardierten und die Häuser in Brand setzten.

Wir gingen zu den Höfen in Limmari. Meine Mutter ging mit sechs Kindern nach Limmari. Wir blieben für zwei Nächte in einem Zelt unter einem Baum. Alle hatten Zelte gebaut.

Die Deutschen kamen, fragten uns ab, bombardierten das Dorf und nahmen alle Tiere, die Schweine und alles, was sie fanden.

Am 16. November haben sie als Erstes meinen Bruder genommen. Sie haben ihn mit den Schweinen nach Pietransieri gebracht und getötet. Dann haben sie meinen anderen Bruder genommen und haben ihn in einem kleinen Wald getötet.

Wir blieben weitere 5 Tage unter dem Zelt.

Nachher, am 21. November, kamen die Deutschen wieder und sagten, sie müssten alle töten . . . Dann kam ein Deutscher, er war gut und sagte uns,    wir müssten fliehen, weil die SS kommen würde und „alle kaputt". Mit der Hand hat er uns das Zeichen gegeben: „tutti kaputt". Wir sind in Richtung Castel di Sangro losgerannt...

Nach einer halben Stunde kam die SS und hat uns versammelt.

Da war ein Baumstamm und sie ließen die Leute herumsitzen. Dann legten sie eine Mine, groß wie eine Blumenvase und sprengten sie.

Nachdem die Mine hochgegangen war, haben die Deutschen angefangen, die Verwundeten mit Maschinengewehren zu töten. Ich war meiner Mutter Arm in Arm. Ich war ihr jüngstes Kind. Es ist bekannt, dass die Mütter bei Gefahr ihre Kinder an sich drücken.

Ich war die Jüngste und sie umarmte mich. Meine Mutter hatte einen Schal um die Schultern und als die Deutschen schossen, fiel sie sofort tot um. Ich fiel unter Mama und blieb dort, Mamas Schal hatte mich bedeckt.

Alle schrien. Als sie anfingen zu töten, was für Schreie konnte man hören!

Dann war nur Stille. Man hörte nicht mal mehr die Vögel. Nichts! Man hörte nichts mehr. Die ganze Welt war still. Ich blieb dort unter Mama, ruhig und still, ich sprach nicht.

Ich war voller Löcher, ich bin voller Löcher. Löcher, die von einer Seite zur anderen verlaufen. Nach einer Weile wollte ich mich bewegen, aber ich sah, da waren nur Tote. Einer über den anderen, alle tot.

Als ich noch unter meiner Mutter lag, habe ich den Kopf angehoben und habe meinen Bruder gesehen, der neben uns lag. Er hat mich gefragt: Virginia ist Mamma gestorben? Ich habe ja gesagt. Sie war sofort tot, sie lag tot über mir.

Durch einen Schuss mit dem Maschinengewehr hatte mein Bruder ein Loch. Ein Loch von einer Seite zur anderen, der sein Auge durchbohrte.

Dann, nachdem ich ihm geantwortet hatte, senkte er den Kopf und verstarb ebenfalls...

Die Deutschen gingen weg, sie töteten und verließen den Ort. Nach einer Weile allerdings kehrten sie zurück, um zu sehen, ob alle wirklich tot waren.

Mit der Pistole in der Hand schoben sie die Leute mit den Füßen zur Seite. Dann senkte ich meinen Kopf unter Mamas Schal und so haben sie mich nicht gesehen.

Wer sich noch bewegte, wurde mit einem Kopfschuss getötet. Ich blieb für zwei Tage und zwei Nächte unter diesen Leichen.

Dann, nach all dieser Zeit, sah ich zwei Frauen aus Pietransieri näherkommen. Ich habe sie gerufen, weil ich sie erkannt hatte und ich fragte, ob sie mich mitnehmen könnten. Sie hoben mich von diesen Toten ab und brachten mich zu einem Bach.

Dann sagten sie zu mir:

"Lass uns jetzt nachschauen, ob jemand aus deiner Familie da ist, dann werden sie dich abholen. Du wartest hier".


Sie konnten mich nicht mitnehmen, weil alle versuchten zu fliehen, um sich selbst zu retten.

Ich blieb eine weitere Nacht bei diesem Bach mit einem Jungen, der sich retten konnte. Aber diesem Jungen ging es schlechter als mir. Dem Jungen ging es schlechter als mir, er war an den Händen schwer verletzt worden und konnte zudem nicht laufen.

In dieser Nacht steckten uns diese beiden Frauen in einen Futtertrog in einem Bauernhof mit Tieren.

Es war spät in der Nacht, als die Deutschen wieder kamen. Dieses Mal setzten sie den Bauernhof in Brand. Die Holzbalken fielen von der Decke. Große Kohlestücke fielen auf uns.

Ich sagte zum Jungen, der Flavio hieß:

"Wenn uns die Deutschen nicht umgebracht haben, müssen wir nicht im Feuer sterben"


So sind wir vom Futtertrog gesprungen, haben uns auf den Boden gerollt und verließen den Hof. Wir sind zu einem Bach gegangen. Wir lagen beide auf dem Boden.

Am nächsten Morgen waren die Deutschen immer noch mit ihren Gewehren in den Händen unterwegs. Dann sagte ich zu Flavio:

"Die bellen wie Hunde. Es sind sicher keine Italiener. Sie kommen wieder zurück".


Vielleicht wollte es Gott so . . . . Wir lagen auf dem Boden und stellten uns tot. Dann kamen die Deutschen und richteten ihre Gewehre auf unseren Rücken und mit den Füssen schoben sie uns zur Seite, um zu sehen, ob wir tot waren. Nichts. Wir bewegten uns nicht. Ich nicht und Flavio nicht. Dann sagten sie:

"ja, ja, kaputt, kaputt"


und sie gingen weg.

Später, an diesem Morgen, kam meine Großmutter. Sie war am Leben, weil sie in einem anderen Bauernhof gewesen war. Die Frauen, die mich gesehen hatten, hatten ihr gesagt, wo ich zu finden war.

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Ich hörte sie schreien. Sie rief und rief nach meinen Brüdern, nach meiner Schwester und meiner Mutter, aber sie wusste, dass alle tot waren. Sie tat es aus Verzweiflung.
Dann rief sie nach mir
:

"Virginia, Virginia".


Sie war mit einer anderen Frau gekommen. Sie kamen näher und sie hatten eine Pizza, die sie aus Brotteig gemacht hatten. Sie dachten, es geht um Kinder, die haben bestimmt Hunger. Aber ich konnte selbst nach acht Tagen nichts essen. Der Junge hingegen hat die Pizza genommen und gegessen. Meine Großmutter konnte diesen Jungen nicht mitnehmen. Er war schlimmer verwundet als ich. Als mich meine Großmutter unter den Beinen nahm, schrie ich. Wenn sie mich unter den Armen nahm, schrie ich ebenfalls.

Meine Großmutter sagte dann:

"Ich weiss nicht, wie ich dich tragen sollen, geschweige denn Flavio".


Dann nahm sie mich an der Schulter, wo ich weniger Schmerzen hatte, und hat mich auf sich geladen. Der Junge blieb zurück, sie konnten ihn nicht tragen.

Sie brachten mich in einem Bauernhof, wo viele Leute von Pietransieri, die sich retten konnten, waren.

Als sie mich sahen, war ich eine Vase voll Blut. Die Kleider klebten an mir, ich hatte keine Schuhe. Sie wussten nicht, was tun.
Sie sagten:

"Was nun?"


Sie konnten mich nicht berühren, weil meine Kleider an mir klebten: Nach all diesen Tagen hatte sich das Blut auf mich getrocknet. Sie bereiteten einen Wasserkessel vor und ließen mich eine ganze Weile drinnen. Dann fing eine Frau aus Pietransieri an, die mittlerweile verstorben ist, mit einer Schere mir ganz langsam die Kleider aufzuschneiden. Als sie mir alle Kleider weggenommen hatten, sahen sie all die Löcher, alle Verletzungen, und sie schrien an meiner Stelle auf.

Ich habe fünf Löcher am Arm, an der Brust und an den Beinen. Am Ende wuschen sie mich und mit einem Leinentuch desinfizierten sie die Löcher. Nachdem wickelten sie mich in einem Laken, ohne mich zu bekleiden und haben mich in diesem Hof untergebracht. Wasser und Salz haben mich geheilt.

Die Frauen, die mich verarztet hatten, gingen am nächsten Tag Flavio holen, um auch diese „Seele Gottes "zu retten. So sagten die Frauen damals dazu. Aber niemand ging ihn holen. Er war viel gelaufen, weil sie ihn auf einem anderen Hof fanden. Tot.

Danach sind ich, meine Großmutter und diese alte Dame von Pietransieri nach San Demetrio gegangen, wo wir bis zum Ende des Krieges geblieben sind.»